Age-Kesagiri 上げ袈裟斬り – Warum der aufsteigende Schnitt mehr ist als eine Notlösung
Wenn wir über Kesagiri sprechen – den berühmten „Mönchskuttenschnitt“ – entsteht oft das Bild eines diagonalen Schlages, der den Körper des Gegners wie die Kante einer buddhistischen Kasaya teilt.
Charmant, aber in der Praxis häufig schlicht falsch.
Denn viele dieser diagonalen Schnitte zielen gar nicht auf den Rumpf, sondern auf etwas viel Kleineres und im Kampf oft Entscheidenderes: den Schwertarm.
Darum verwende ich persönlich oft lieber den nüchternen Begriff nanamegiri – diagonaler Schnitt.
Aber: Tradition schlägt Wortklauberei. In den meisten Ryūha ist Kesagiri der technische Standardbegriff. Also bleiben wir dabei.
Warum Age-Kesagiri technisch kniffliger ist, als er aussieht
Ein aufsteigender Schnitt von der Hüfte hoch über die Schulter klingt elegant – ist in der Realität aber ein kleines biomechanisches Puzzle.
1. Die Beinposition entscheidet über Sicherheit
Wenn du z. B. von rechts unten nach links oben schneidest, steht idealerweise das linke Bein vorn.
Warum?
- das eigene Bein blockiert die Klinge nicht
- Verletzungen werden vermieden (ja, das kommt vor)
- die Hasuji 刃筋 – die Ausrichtung der Schneide – lässt sich so viel sauberer halten
Gerade die korrekte Hasuji ist bei aufsteigenden Schnitten eine der größten Herausforderungen. Arme und Handgelenke „stehen sich gern selbst im Weg“.
2. Manchmal braucht man mehr Reichweite
Im freien Sparring (gekiken 撃剣) ist der klassische „Kote-Snipe“ – ein schneller Schnitt auf den Unterarm – ein häufiger Einsatz von Age-Kesagiri.
Hier wird die Position manchmal bewusst invertiert: der andere Fuß steht vorne, um die Reichweite noch etwas zu verlängern.
Morote oder Katate? – Wenn zwei Hände zu viel sind
In manchen Kenjutsu-Linien wird Age-Kesagiri asymmetrisch geführt:
- von rechts nach links: beidhändig (morote 諸手)
- von links nach rechts: einhändig (katate 片手)
Grund: Die Handgelenke kreuzen sich sonst, behindern einander – und jede Blockade im Fluss eines Schnitts ist ein Risiko.
Die unbequeme Wahrheit: Aufsteigende Schnitte haben wenig Kraft
Das ist hart, aber wahr:
- sie erzeugen deutlich weniger Schlagenergie als ein abwärts gerichteter Schnitt
- sie brauchen mehr Vorbereitung, mehr Struktur und mehr Feingefühl
- sie verzeihen keine Fehler in der Hasuji
Warum also überhaupt nutzen?
Die taktische Stärke des Age-Kesagiri
Ganz einfach:
Er ist schwer zu parieren.
Ein sauber geführter Age-Kesagiri kann unter eine gegnerische Parade gleiten, die Deckung elegant umgehen und die kleinste Öffnung ausnutzen.
Wie Wasser, das seinen Weg findet – leise, unscheinbar, aber wirkungsvoll.
Ein klassisches Beispiel für Inyo: Ein „schwacher“ Schnitt, der durch Timing und Winkel plötzlich stark wird.
Fazit
Der Age-Kesagiri ist weder ein Kraftschnitt noch ein Showstück.
Er ist eine Werkzeugklinge, kein Vorschlaghammer:
- subtil
- schnell
- schwer zu blocken
- und hervorragend geeignet, um kleine, aber entscheidende Treffer zu setzen
Wer ihn meistert, versteht eine wichtige Dimension des Battojutsu:
Manchmal gewinnt nicht der härteste Schlag, sondern der unscheinbare Winkel, der an der Deckung vorbei flüstert.
