Nukitsuke — Das Ziehen und Zuschlagen aus der Scheide (抜き付け)

Veröffentlicht am: 16.10.2025
Aktualisiert am:
16.10.2025
Kategorien:
Technik

Einordnung: Battô, Iai und Iaijutsu

Eine der bekanntesten Erscheinungen der japanischen Schwertkunst ist das unmittelbare Ziehen und Zuschlagen: battô (抜刀) oder iai (居合い). Moderne Klassifikationen sehen battô eher als offensive Technik (Angriff aus der Scheide) und iai öfter als defensive Reaktion (Zug, um einen Überfall zu parieren). Historisch wurden die Begriffe jedoch oft synonym verwendet. Selbst heute gibt es starke Überschneidungen zwischen iaidō (居合道), battōjutsu (抜刀術) und kenjutsu (剣術).

Während battô gelegentlich auch in Rüstung praktiziert wird — mit angepassten Techniken wegen anderer Schwertbefestigungen — gehen iaijutsu und iaidō meist von ziviler Kleidung und Alltagstrageweise (durch den Obi 帯 gesteckt) aus.

Warum nukitsuke komplizierter ist, als es aussieht

Das einfache Herausziehen eines Schwertes mag funktionieren — aber es ist anfällig für Fehler, die Zeit, Genauigkeit und Kraft kosten oder sogar gefährlich werden können:

  • Habaki (鎺 / 鎺金): Das Messing- oder Kupferstück am Schwertkörper hält die Klinge sicher in der saya (鞘, Scheide). Ein ruckartiges Herausziehen kann Verzögerungen verursachen und die Bewegung „wackelig“ machen — Energie des Schlages geht verloren.
  • Reibung & Kantung: Die saya ist lackiertes Holz; Abrieb an der Schneide führt zu Reibung. Wird die Klinge schief gezogen, entsteht erhöhte Reibung oder sie klemmt — im schlimmsten Fall kann die Klinge aus der Scheide brechen und die einhändig haltende Hand verletzen.
  • Präzision: Für kraftvolle, treffsichere Schnitte darf die Klinge während des Herausziehens möglichst nicht an der Innenfläche der Scheide anliegen — ideal ist ein „frei schwebendes“ Blatt.

Deshalb haben ganze ryūha (流派, Schulen) detaillierte Regeln nur für Ziehen und Stecken entwickelt.

Ziel beim richtigen nukitsuke

Beim korrekten Ziehen sollte die Klinge möglichst nicht mit der Scheide in Kontakt kommen — sie soll „frei schweben“. Wenn Kontakt unvermeidbar ist (bei weniger erfahrenen Übenden), dann an der Flanke der Klinge, nicht an Schneide oder Rücken.

Schritt-für-Schritt: Korrektes nukitsuke

  1. Saya no shisei (鞘の姿勢) — Haltung/Position der Scheide
    Manche Stile neigen die saya leicht, andere richten sie direkt in Schnittlinie aus. Letzteres vereinfacht das Zug-und-Schlag-Manöver, hat aber den Nachteil, dem Gegner die Absicht zu verraten.
  2. Sayabiki (鞘引き) — „Vorziehen“ der noch gesteckten Klinge
    Die linke Hand greift die saya und schiebt das noch in der Scheide befindliche Schwert vom Obi zur rechten Hand. Wichtig: nicht die rechte Hand zum Griff heranziehen, sondern Griff und Hand treffen sich an einem vordefinierten Treffpunkt.
  3. Koiguchi-kiri (鯉口切り) — „Karpfenmaul öffnen“
    Um die habaki zu lösen, wird mit dem Daumen oder dem Handrücken der linken Hand gegen die tsuba (鍔, Parierstange) gedrückt.
  4. Sayanuki (鞘抜き) — Wegziehen der Scheide vom Blatt
    Ohne das Schwert zu bewegen, wird die saya zurückgezogen, bis die kurikata (繰形, Befestigungsnupsi für die Trägerkordel) am Obi anliegt. Meist bleibt zu diesem Zeitpunkt noch ein Teil der Klinge in der Scheide.
  5. Koshinuki (腰抜き) — letzte Befreiung des Blatts
    Durch Zurückziehen/Absenken der Hüfte (oder alternativ ein Schritt mit dem rechten Fuß) wird das letzte Stück der Klinge aus der Scheide befreit — immer noch ohne das Schwert groß zu bewegen.
  6. Nukitsuke (抜き付け) — der eigentliche Zug und Schlag
    Die rechte Hand, die bisher locker am Griff gehalten hat, schließt sich fest und führt die Schlag- oder Paradebewegung aus.

Mit diesen verteilten, präzisen Bewegungen lässt sich erstaunliche Reichweite erzielen — sogar mit sehr langen Klingen — ohne Kontrolle oder Schlagkraft zu verlieren.

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Praxistipps für Trainierende

  • Übe die Einzelschritte langsam und separat, bevor du sie im Fluss zusammenfügst.
  • Achte auf die Position von habaki und kurikata bei deinem eigenen Schwert/Iaito; kleine Unterschiede ändern das Timing.
  • Lass dir von einem erfahrenen Partner/Lehrer die Handposition für sayabiki und koiguchi-kiri zeigen — Kleinigkeiten entscheiden hier über Sicherheit.
  • Trainiere zunächst mit Iaito/Bokken, bevor du mit einer scharfen Klinge arbeitest.

Fazit

Nukitsuke ist kein bloßes Herausziehen der Klinge — es ist ein fein abgestimmter Ablauf aus Haltung, Timing und Körperbewegung, der Reibung minimiert, die Klinge stabilisiert und Schlagkraft sowie Genauigkeit erhält. Kein Wunder, dass ganze Schulen ihre eigenen Varianten und Feinheiten entwickelt haben: Die Details machen den Unterschied.